Leserreise PRO-Zeitschrift – Bahnreise nach Wien 1964
Ich begleite anfangs Oktober diese Gruppe nach Wien. Nach einem ausgefüllten und interessanten Besichtigungsprogramm beziehen wir am Bahnhof Wien unsere Plätze in den Liegewagen für die Rückreise nach Zürich. Die Gruppe ist zufrieden und geniesst das Nachtessen im Speisewagen.
Es passiert auf der Rückfahrt
Ich sitze mit den Gästen des 2. Service im Speisewagen und wir tun uns gemütlich an einem (oder zwei) Glas Gumpoldskirchner. Da stürzt aufgeregt Herr Sieber von der Gruppe herein und geht zum anwesenden Kondukteur und in Sekundenbruchteile rennen die zwei wieder an uns vorbei zurück. Ich frage Herrn Sieber im Vorbeigehen was passiert sei und er schreit nur: „Meine Frau, meine Frau“ – ohne dass ich aber Näheres weiss. Also folge ich den beiden sofort hinterher, in jedem Wagen werden die Toilettentüren aufgemacht und nach der Frau gesucht.
Beim Liegewagen-Abteil der Gruppe angekommen, habe ich endlich Zeit um mehr zu erfahren. Die Frau sei auf die Toilette gegangen und nicht mehr zurückgekommen. Als ihr Mann, beunruhigt über die lange Abwesenheit, nachschauen geht, sieht er, dass anstelle der Toilettentüre die Wagentüre offen ist.
Frau Sieber wird aus dem Zug geschleudert
So unglaublich es tönt, sie hat die falsche Türe erwischt und wird während der Fahrt aus dem Zug geschleudert! Der Kondukteur orientiert sich mit einem Blick nach draussen wo wir ungefähr sind und zieht nach kurzer Zeit die Notbremse und wir halten im Bahnhof Wels vor Salzburg.
Der herbeigeeilte Bahnhofvorstand wird über den Zwischenfall informiert, worauf dieser spontan antwortet: „Jesses, Maria und Josef“! Er werde sofort Personal mit Draisine und Scheinwerfern losschicken, um die Frau zu suchen und lässt auch die nachfolgenden Züge warnen. Wir sollen uns in Salzburg beim Bahnhofsvorstand melden, um allfällige weitere Informationen zu erhalten.
In Salzburg angekommen, begeben wir uns – der Kondukteur, Herr Sieber und ich – sofort ins Büro des Vorstandes und erhalten die Nachricht, dass Frau Sieber gefunden wurde und in ein Spital eingeliefert worden sei. Sie habe ein „paar blaue Flecken, es gehe ihr aber den Umständen entsprechend gut“ – unglaublich! Ich vermute jedoch, dass uns die Wahrheit vorenthalten wird, um den Ehemann nicht mit einer Hiobsbotschaft zu schockieren. Er bleibt zurück und ein Transport wird für ihn zum Spital organisiert.
Positive Nachricht – sie lebt noch
Vor Verlassen der Gruppe zurück in Zürich telefoniere ich ins Spital in Wels und erkundige mich nach dem Zustand von Frau Sieber. Die Antwort ist positiv und sie hat den Sturz effektiv ohne schwere Verletzungen überlebt! Alle Teilnehmer sind über diese positive Nachricht erfreut und erleichtert.
Zu erwähnen wäre noch, dass es für das Ehepaar Sieber die erste Auslandsreise war und somit zum ersten Mal in einem Liegewagen gereist sind.