Von den Anfängen des Tourismus bis zur Gegenwart

“Tour de France” 1955 3550 km mit Autostopp

14 Tage Côte d’Azur – Pyrenäen – Atlantik – Paris,  1955

 

Die Jahre des „Autostoppens/Trampens“
Es ist Herbst 1955 und ich mache mich auf zu einer abenteuerlichen Reise „Rund um Frankreich“. Ich habe schon verschiedentlich in der näheren und weiteren Umgebung Autostopp als Transportmittel benutzt, nicht nur weil es praktisch war, schnell und dazu noch günstig an ein Ziel zu kommen, sondern auch weil dies Gelegenheit gab, mit den unterschiedlichsten Leuten in Kontakt zu kommen. So reift im Laufe des Sommers in mir der Wunsch, eine längere Auslandsreise per Autostopp durch Frankreich zu unternehmen, um Etappenorte und Pyrenäen-Pässe, bekannt von der Radsport-„Tour de France“ kennenzulernen.

Vorerst noch mit einem gemischten Gefühl von meiner Mutter, die mich ungern allein ziehen lassen will. In einem Zeitungsinserat suchen wir einen gleichgesinnten Jugendlichen, der mich begleiten soll. Ich bin aber froh, dass sich niemand meldet, da ich mich allein wohler und freier fühle.

Das Original-Inserat in der Zeitung habe ich leider nicht aufbewahrt.

Autostoppen bedeutet …
… Unsicherheit, Alleinsein, aber auch Langeweile, wenn lange, vielleicht Stunden, kein Auto anhält. Es bedeutet, dass man vieles, wenn nicht alles, nicht im Griff hat. Und es bedeutet, dass man sich mit Wildfremden in einen engen Raum setzen, ihnen vertrauen und sich mit ihnen beschäftigen muss. Also nichts für Jemanden, der Berührungsängste mit Fremden hat. Es ist vielfach schrecklich langsam und herrlich ineffizient. Die Idee, die Kontrolle über sich und sein Vorwärtskommen aus der Hand zu geben und dabei Zeit zu vertrödeln, ist die unoptimierteste Reiseform überhaupt.

Im Gegenzug für die Mühsale und Unannehmlichkeiten beschert das Autostoppen allerdings inspirierende und überraschende Erlebnisse und liefert oft ausgesprochen herzliche Begegnungen. Und nicht selten ergibt sich aus einer gemeinsamen Fahrt auch eine Einladung zum Essen, Trinken oder sogar für die Nacht.
Autostopp ermöglicht die Erfahrung, dass Menschen einander helfen.

Der „Fähnchen-Trick“
Die Schweiz ist in dieser Zeit ein hoch angesehenes Land. Ich hoffte und glaubte, dass ich den Automobilisten gegenüber vertrauenswürdiger erscheine, wenn ich statt des üblichen Handzeichens einen kleinen Schweizer-Wimpel in die Fahrbahn halte.

Original von 1955

Und wie das gewirkt und funktioniert hat, erfahre ich laufend während den nächsten zwei Wochen. Jedesmal, wenn ich in Frankreich in ein Auto gestiegen oder auch kurz den öV benutzt, war die erste Reaktion des Fahrers oder der Leute: „Aah, un Suisse!“.

Das Abenteuer beginnt….  –  von Winterthur über Genf ins Rhonetal
Es ist Sonntagmorgen früh, den 4. September 1955 und voller Erwartungen starte ich in Winterthur, wo wir seit dem Frühjahr wohnen, Richtung Zürich. Mein Rucksack ist vollbepackt und wiegt über 20 kg. Nach der ersten nicht gerade ermutigenden 7 Minuten gehts ohne grössere Wartezeiten und mit kleineren und grösseren Strecken weiter, zwischen Fribourg und Payerne sogar auf dem Sozius einer Vespa.

Genf kenne ich ja schon vom Vorjahr und marschiere zügig durch die Stadt. Nach den Zollformalitäten – es ist bereits 18.30h – stelle ich mich erstmals mit meinem Schweizer Wimpel auf – und trotz wenig Verkehr klappt der “Trick” und ich bin kurz darauf unterwegs. In Annecy telefoniere ich von einem Café nach Hause, erkundige mich nach der Jugi, der einzigen in der weiteren Umgebung und bei leichtem Regenschauer und einigen Unklarheiten finde ich doch noch den Weg.

Ich bin müde geworden vom vielen Marschieren durch die Städte und die Achseln schmerzen vom Tragen des schweren Rucksacks. Gleichzeitig aber froh und erstaunt, dass ich in einem Tag die 340 km zurücklegen konnte.

Ein grosser, kräftiger Mann nimmt mich am nächsten Morgen nach wenigen Minuten Wartezeit mit bis nach Lyon. Er erzählt mir viel vom letzten Weltkrieg und seiner Gefangenschaft. Die Weiterfahrt entlang der Rhone führt über Vienne nach Valence.

Vienne an der Rhone, südlich von Lyon

Und mein Glück schlägt wieder zu: Ein Schotte nimmt mich mit und im Gespräch stellt sich heraus, dass er nach Nizza an die Riviera fährt. Sofort erfasse ich die einzigartige Gelegenheit und frage, ob ich bis dort mitfahren darf. Mein Englisch ist noch recht karg, aber wir verstehen uns gut. Er ist froh, einen Begleiter zu haben, da er von Glasgow in Schottland bis hier durchgefahren ist.

Die Fahrt mit dem Schotten führt mich über Montpellier nach Avignon, von wo ich gerne Richtung Pyrenäen gereist wäre, aber dann hätte ich die Riviera nicht erlebt.

Cannes an der Côte d’Azur – mein erstes Bad im Meer
Es ist bereits neun Uhr abends, als wir in Cannes ankommen und ich entscheide mich auszusteigen, damit ich noch rechtzeitig in die Jugi komme, statt weiter bis Nizza zu fahren.

Ich bestaune die fantastische Farbenpracht des „Cannes by night“. Vor lauter Staunen vergesse ich fast, nach der Jugi zu fragen. Gut ist ein „Flic“ in der Nähe, den ich fragen kann und nach mühsamen Suchens stehe ich punkt 22.00 Uhr vor der Jugi.
Ich kann es kaum glauben, dass ich gestern Sonntagmorgen erst in Winterthur gestartet bin und heute Montagabend schon das 1000 km entfernte Cannes an der Riviera erreicht habe! So etwas kann man nur Glück nennen. Zufrieden schlüpfe ich in meinen Schlafsack und gebe mich den Träumen hin.

Croisette in Cannes

Dank des herrlichen Wetters bleibe ich einen Tag in Cannes um die spezielle Ambiance an diesem mondänen Ort aufzusaugen. Ich nehme mein erstes Bad im Meer – ein tolles Gefühl, einfach herrlich! Dann flaniere ich dem Strand entlang, bestaune die riesigen Grand Hotels, sitze an einem schattigen Platz in einer phantastischen Parkanlage mit schönen grossen Palmen. Was für ein Augenblick! Draussen auf dem Meer schwimmen grosse Frachtschiffe und Ozeanriesen vorbei und ich frage mich, wie es auf einem solchen grossen Passagier-Schiff wohl aussehen kann. (Nie im Leben hätte ich in diesem Moment gedacht, dass durch meinen Beruf dieser Traum vielfach in Erfüllung gehen sollte.)

Die landschaftlich imponierende Provence
Ich will weiter, neue Gegenden kennenlernen und marschiere am nächsten Morgen dem Boulevard de la Croisette mit den teilweise Schatten spendenden Palmen entlang. Über mir wölbt sich der strahlend blaue Himmel und die Sonne scheint schon am Morgen sehr warm, was mich bald zum Schwitzen bringt. Der Verkehr ist gering und auch mein Fähnli-Trick funktioniert heute nicht, auch die vielen Schweizer Autos zeigen kein Mitleid mit ihrem Landsmann.

Der Rückweg entlang der Côte d’Azur ist mühsam und beschwerlich und weniger vom Glück begünstigt. Kurze Strecken per Auto und lange Fussmärsche wechseln sich ab.
Ein nettes Ehepaar nimmt mich in Hyères mit und es stellt sich heraus, dass sie mich bereits an der Côte d’Azur gesehen hatten und mich am Schweizer Fähnchen wieder erkannt haben. In Toulon machen sie speziell für mich eine kleine Stadtrundfahrt.
Gegen acht Uhr abends sind wir in der Stadt Aubagne. Sie erkundigen sich nach der Jugendherberge und setzen mich freundlicherweise vor der Türe ab. Die draussen stehenden Jugi-Bewohner setze ich mit dieser „Aktion“ ins Staunen!

Marseille
Am nächsten Morgen bin ich nach keinen fünf Minuten Wartezeit in einem Citroen Deux Chevaux und in Marseille steige ich im „Vieux Port“ aus.

Die Empfehlung des Fahrers, unbedingt die Kathedrale „Notre Dame de la Garde“ auf dem Hügel über der Stadt zu besichtigen, nehme ich zu Herzen. Durch schmale Gassen erreiche ich den „Ascenseur pour Notre Dame de la Garde“ und oben angelangt, empfängt mich eine unglaubliche Rundsicht.

Kathedrale “Notre Dame de la Garde”, Marseille . und Aussicht auf die Stadt

Der Weg zurück zum Vieux-Port geht durch das Araber-Elendsviertel. Der Zustand, der hier herrscht, ist schwer zu beschreiben. Die Häuser sind kahl und schmutzig, Lumpen, die Wäsche darstellen sollten, hängen aus den Fenstern. Die Kinder liegen faul in ihren armseligen Lumpen entweder auf der Treppe oder dann in einer Ecke des Hauses. Ein furchterregender Anblick und ich bin froh, dieses Elendsviertel bald hinter mir zu haben.

Vieux-Port Marseille

Es ist heiss und ich will in einem Restaurant eine Erfrischung nehmen, aber am Vieux-Port sind nur Hafen-Spelunken. Ein Blick in einige dieser Spelunken genügt mir, um meine Erfrischung auf später und ins Freie zu verschieben.
Trotz eines Verbots für „Unberechtigte“ – und neugierig wie ich bin – schleiche ich mich zu den grossen Lagerhallen im Hafen, wo ein Frachter entladen wird – ein gewaltiger Eindruck.

Schrecksekunde als Fussgänger auf Autobahn wegen Polizeiauto
Ich will weiterreisen und auf der eingeschlagenen Strasse herrscht praktisch kein Verkehr und ich entscheide mich wieder für etwas Verbotenes. An der nahegelegenen Autobahn und trotz des Schildes „Interdit aux piétons“ (Fussgänger verboten) gehe ich die Zufahrtsstrasse hinauf und gelange auf die Autobahn. Ich erschrecke über die Geschwindigkeit der Autos, die an mir vorbei brausen und ich sehe meine Hoffnungen, von hier wegzukommen, langsam entschwinden. Ich schwenke zum xten Mal meinen Wimpel und ziehe ihn sofort wieder zurück, als ein Auto auf meiner Höhe ist – oh Schreck, es ist die Polizei! Das Bremslicht leuchtet kurz auf und ich sehe mich schon auf dem Weg zu einem Polizeiposten und einer „Gratisnacht“, aber der Polizist hat sich anders entschieden und fährt weiter. Wieder mal Glück gehabt!

Später kann ich auf einem alten Lieferwagen Platz nehmen, der noch knappe 40 km/h auf der Autobahn fährt – aber ich komme vorwärts, wenn auch langsam. Das Auto stottert, der Fahrer kurbelt am Steuerrad herum, stampft wie wild am Gaspedal und kann nur knapp einen Frontalzusammenstoss verhindern – schon wieder Glück gehabt! Dann steht der Wagen still, der Fahrer steigt aus, öffnet die Motorhaube und – ich staune – er muss das Gaspedal-Kabel wieder am Motor einhängen! In Aix-en Provence ist diese abenteuerliche Fahrt vorbei.

Abenteuerliche Fahrt mit altem Lastwagen, zusammen mit einem Russen
Am Stadtrand treffe ich einen weiteren Stöppler und wir kommen ins Gespräch. Er ist Russe und stammt aus Riga, der Hauptstadt von Lettland. Von Beruf Taucher versucht er überall an der Küste Arbeit zu finden, aber weder in Cannes, Toulon und Marseille befriedigt ihn die Arbeit und ist nun auf dem Weg nach Brest in der Bretagne, im Norden Frankreichs. Auf meine Frage, wie er denn nach Südfrankreich gekommen sei, antwortet er, dass er geflüchtet sei und mehr als 5000 km zu Fuss zurückgelegt habe. Er erzählt mir Erstaunliches vom Leben hinter dem „Eisernen Vorhang“.

Wir trennen uns nach einer Stunde, um einzeln eine bessere Chance zu haben und vereinbaren, dass der Erste den Fahrer fragt, ob der andere auch mitfahren darf. Dank meinem Wimpel hält ein alter Lastwagen und ich winke meinen Russen zu mir. Ich habe neben dem Chauffeur knapp Platz und für den Russen legt der Fahrer ein Brett auf die daneben sich befindenden Batterien als Ersatzsitz! Einige Kilometer vor Arles gibt auch dieser Lastwagen den Geist auf und wir haben bald „Ersatz“ – mit dem gleichen Trick wie beim Lastwagen.

Arles – Camargue
In wenigen Minuten sind wir endlich da. Die Jugi ist ganz in der Nähe, wo wir aussteigen, aber leider ist der Russe schon zu alt für die Jugi und so müssen wir uns trennen.

Auf dem Weg zum Stadtrand passiere ich noch das alte Amphitheater und will mich nachher in Position bringen – schon braust ein schneller Wagen heran. Schnell das Fähnchen in die Höhe und die Bremsen eines tollen Zweiplätzer-Cabrios quietschen. Die Türe ist noch nicht einmal geschlossen, da gibt der junge Fahrer Vollgas und auf der flachen Strecke flitzen wir dauernd mit 120 km/h durch die Gegend (keine Autobahn) und bald sind wir in Montpellier. Sein Tacho zeigt 1000 km, d.h. er ist um Mitternacht in Paris abgefahren und nach 12 Std. in dieser Stadt angekommen! Ich verabschiede mich und gehe zu Fuss durch die Stadt.

In Narbonne kommt mir die Idee, auf meinem Schreibblock in grossen Buchstaben den Namen „Toulouse“ zu schreiben, meinem gewünschten Ziel für diesen Tag. Kaum halte ich den Wimpel mit dem Schreibblock dem nächsten Automobilisten vor die Nase, schon funktioniert der Trick und ich kann bis Toulouse mitfahren. Der Fahrer erklärt mir zudem die Sehenswürdigkeiten von unterwegs.

Für meine Weiterreise habe ich mir bereits auf dem Schreibblock mein nächstes Ziel – Tarbes – notiert und es dauert keine fünf Minuten und ich bin in einem Auto unterwegs.

Gescheiterter Versuch von Lourdes über die Pyrenäen-Pässe zu fahren
In St. Gaudens nimmt mich eine Familie bis Lourdes mit und wir picknicken zusammen unterwegs. Eigentlich wollte ich zuerst über den von der Radsport-Tour de France bekannten Pass „Col du Tourmalet“ und dann nach Lourdes fahren, aber es läuft nicht heute und wider Willen entscheide ich mich mit dem Zug nach St. Pé de Bigorre zu fahren, wo die nächste Jugi ist. Sie bietet Platz für 150 Jugendliche, aber es ist nur ein junger Holländer aus Rotterdam anwesend, der mit seinem Motorrad gekommen ist.

Im Golf von Biscaya am Atlantischen Ozean
Am nächsten Morgen sitze ich auf seinem Sozius und wir fahren über Lourdes bis nach Tarbes, wo ich mich mit einem grossen Dankeschön von ihm verabschiede. Mit Warten, einem Motorrad und einem Lieferwagen bin ich in Pau. Auf mein Wimpelzeichen hält auch schon ein Auto, aber was für eine alte Kiste, aber ich kann nicht gut refusieren und steige ein. Oh Schreck – ich bin in einer Zigeunerfamilie gelandet mit 2 Hunden, die mich ständig belästigen. Das hat mir gerade noch gefehlt. Ein paar Mal einige saftige Fusstritte und ich habe Ruhe vor dieser Plage. Gemächlich fährt mich die Kiste bis Bayonne. In der Jugi sind viele Jugendliche anwesend, Engländer, Japaner, Italiener, Franzosen, Österreicher und ich als einziger Schweizer.

Das Meer und Biarritz sind nicht weit und so drängt es mich, noch heute abend – ohne Gepäck – dorthin zu gehen.

Biarritz – und mein erstes Bad im Atlantik
Von weitem bietet sich mir der Blick aufs weite Meer hinaus und bald bin ich da, in Biarritz, dem bekannten See- und Heilbad an der Atlantikküste. Ich stehe zum ersten Mal am Atlantischen Ozean. Ein phantastischer Anblick – vor mir der grosse, herrliche Sandstrand, das Meer mit der tosenden Brandung und über mir ein klarer Himmel. Ich sitze einfach da und geniesse den Augenblick.

Biarritz mit Strand und Casino

Nach den anstrengenden letzten Tagen schalte ich an diesem herrlichen Ort einen Ruhetag ein. Am nächsten Vormittag bin ich wieder in Biarritz am Strand und ich bade zum ersten Mal im Atlantischen Ozean.

Erst am frühen Nachmittag gehe ich zurück in die Jugi. Nach diesen erholsamen Stunden entscheide ich, noch am gleichen Tag weiter nach Norden zu reisen.

Bordeaux – und entlang der Westküste zur Loire, dem Tal der Schlösser
Ich nehme den Bus bis Bayonne und nachher für die restlichen 160 km bis Bordeaux in einem grossen Citroen. Nach einer Nacht in der schön gelegenen Jugi – mit Franzosen, Spaniern und Deutschen – gehts in verschiedenen kurzen Etappen nach Norden.

Dann, ich stehe wieder am Strassenrand, halte meinen Schweizer Wimpel hoch beim Herannahen eines schicken Pontiac und schon hält der Fahrer an. Bevor ich überhaupt einsteigen kann, ergibt sich für mich eine total neue Situation: Er fragt mich, ob ich wirklich Schweizer bin, will meine ID sehen, notiert den Namen, Wohnort, Alter etc. und dann darf ich im grossen Amerikaner Schlitten Platz nehmen. Wir kommen bald in ein lebhaftes Gespräch, bis wir in Saintes ankommen, wo die Fahrt leider zu Ende geht.

Mit Lieferwagen, Motorrädern und Autos gelange ich bis La Rochelle am Atlantik und von dort sitze ich, den schweren Rucksack auf meinen Schultern, auf dem Sozius eines Peugeot Rollers für 125 km bis Nantes.

Wir fahren bei Sonnenschein, durch Regen und Sturm und müssen unterwegs unterstehen, da es so heftig giesst. Später geht ihm noch das Benzin aus und der Rollerfahrer muss ebenfalls ein Auto anhalten und um Benzin bitten, was mit Pumpen mit Schlauch möglich ist. Der Fahrer will kein Geld für das Benzin, da es von der Armee ist und er deshalb nichts verlangen darf.

Am frühen Abend sind wir in Nantes und er setzt mich direkt vor der Jugi ab, zufrieden so weit gekommen zu sein. Später am Abend sitze ich im Aufenthaltsraum, entdecke ein Radio und kann doch wirklich Radio Beromünster empfangen und die Spätnachrichten vom Schweizerischen Landessender hören. Mit zwei Engländern, John und Valory, trinke ich einen Kaffee, wir plaudern und auf Beromünster läuft die Sendung „für den Jazzfreund“ – ein eigenartiges Gefühl.

Am nächsten Morgen früh bin ich froh, schon nach wenigen Minuten bei einer Familie einsteigen zu können, mit denen ich bis Tours mitfahren kann. Es regnet und es ist kalt.Unterwegs in Langeais machen sie einen Frühstückshalt und ich habe Gelegenheit, in der nächsten Stunde mir das nette Dorf und die imposante Brücke über die Loire anzuschauen.

Langeais an der Loire

Trotz teilweise Regen und Sturm ist es eine herrliche Fahrt entlang der Loire bis Orléans, die Loire-Schlösser sehe ich aber nur von Ferne. Wenige Minuten später nimmt mich ein nettes Ehepaar mit bis nach Paris.

Paris – ein Traum wird wahr
Dank einer gut ausgebauten, 3-spurigen Strasse kommen wir zügig voran und nach Konsultation im Jugi-Führer nach der Adresse bringen mich diese netten Leute direkt bis zur Jugi. Ein Hinweisschild zeigt allerdings, dass die Jugi noch 300 m entfernt ist. Auf dem Weg dorthin kommen mir zu meiner Ueberraschung John und Valory vom Vorabend entgegen mit dem Bericht, dass die Jugi überfüllt sei. Wir suchen ein Relais und haben Glück, dort noch die letzten Betten ergattern zu können.

Donnerstag, der 15. September 1955 – und ich bin zum ersten Mal in Paris!
John, Valory und ich haben uns gut angefreundet und so gehen wir zusammen die Stadt erkundigen. Die weltberühmten Sehenswürdigkeiten sind auf unserem Programm, meistens immer zu Fuss. Dem bekanntesten Wahrzeichen, dem Eiffelturm, statten wir einen Besuch ab und fahren mit dem Lift bis zur ersten Plattform mit der herrlichen Aussicht.

Paris ist faszinierend mit seinen grossen Boulevards, den breiten Trottoirs und den vielen Fussgängern, die Parkanlagen, das pulsierende Leben, imposante Gebäude – ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus.

In den Tuilerien

In den spärlichen Pausen setzen wir uns in den Tuilerien oder irgendwo hin und lassen die grossen Eindrücke auf uns einwirken, beobachten die Menschen, die an uns vorbeigehen und fragen uns, woher all diese Leute kommen und gehen. Am Abend wechseln wir die Unterkunft und ziehen in die Jugi ein.

Paris hat mir einen bleibenden und unvergesslichen Eindruck hinterlassen und ich hoffe sehnlichst, bald wieder einmal diese Stadt besuchen zu können, egal mit welchem Transportmittel auch immer. (Mein Wunsch wurde später in meinem Berufsleben zigfach erfüllt)

Mit vier Autos von Paris nach Mulhouse
Die Reise geht langsam dem Ende entgegen und je weiter ich nach Osten gefahren werde, desto näher kommt die Schweiz.

Ich verlasse die Jugi bereits um 07.00 Uhr und gehe zu Fuss und will mit der Metro bis zum Stadtrand fahren. Aber oh Schreck, nach den Autobussen gestern streiken heute die Metro-Angestellten. Also auf Schusters Rappen weitergehen, die Strassen sind vollgestopft von Autos und Menschen, die wie ich versuchen, ein Auto aufzuhalten. Bereits eine Stunde unterwegs, der schwere Rucksack drückt, habe ich Glück, dass ein Lastwagen auf meinen Wimpel reagiert und mich bis nahe an die Stadtgrenze mitnimmt.

Eigenartige Befragung für eine Studie
Dann stehe ich wieder an der Strasse, aber ich gehe keine 100 m, schon hält der Nächste auf mein Wimpel-Zeichen. Der Fahrer ist ein Architekt und kaum sind wir losgefahren, beginnt er die unmöglichsten Fragen zu stellen, z.B. wie gross ich bin, wie schwer, Umfang, Geburtsdatum, Wohnort usw. usw. Er klärt mich aber sofort auf und erwähnt, dass er mit einem Mediziner befreundet ist und sie eine Studie machen mit möglichst vielen jungen Burschen aus allen Gegenden Frankreichs, welcher Abstammung und welcher Rasse sie angehören. Bis jetzt haben sie noch keinen Ausländer befragen können und fragt mich deshalb, ob ich mich zur Verfügung stellen würde, was ich bejahe.

Wir halten an einem günstigen Ort, steigen aus und er beginnt, von mir Aufnahmen zu machen in allen möglichen Positionen: von vorne ganz nah, von der Seite das Profil, von hinten usw. usw. Mit einer Filmkamera dreht er noch einen kurzen Film mit verschiedenen Bewegungen, die ich ausführen muss. Finde dies zwar sehr eigenartig, aber doch irgendwie amüsant und eine neue Erfahrung. Während der Weiterfahrt erkundigt er sich, wieviel Geld ich noch bei mir habe. Ich nehme mein Portemonnaie hervor, zähle und komme auf 350 Francs (ca. Fr. 4.-), was ihn in ein grosses Staunen versetzt und er übergibt mir eine Tausendernote (ca. Fr. 12.-). Eine solche Überraschung habe ich nun gar nicht erwartet und bedanke mich gebührend, obwohl er bei der Übergabe erwähnte „pas de remerciements“ (nichts zu danken). Er ist am Ziel und ich verabschiede mich gebührend von diesem freundlichen Herrn. Seit Paris habe ich bereits 136 km zurückgelegt, obwohl es erst nach 10 Uhr vormittags ist.

So stehe ich wie so oft am Strassenrand und nach einer Viertelstunde kommt ein Simca-Aronde angebraust und beim Anblick meines Schweizer Fähnchen macht er einen brüsken Stop und lädt mich ein, im Fond Platz zu nehmen, da vorne noch seine Frau und das vierjährige Töchterchen sitzen.

Ich frage, ob ich bis Nancy mitfahren darf – immerhin rund 200 km. Im Laufe der Fahrt stellt sich heraus, dass ich heute das grosse Los gezogen habe.
Gegen Mittag wird während der Fahrt verpflegt und die Frau übergibt mir zwei feine, selbstgemachte Schinkenbrötchen. In der nächsten Bäckerei werden noch mehr Brötchen gekauft, da ja ein “Kostgänger” mehr da ist. Dann gibts sogar ein Poulet, an dem ich recht zu knabbern habe. Es ist mein erstes Poulet und es schmeckt mir herrlich; begreiflich, wenn man dafür nichts zahlen muss. Zum Schluss gibts noch einen Dessert in Form von Trauben, Bananen, Birnen und Mineralwasser.

In Nancy parkieren wir vor einem Café Restaurant und das Ehepaar lädt mich noch zu einem Kaffee ein, da es inzwischen etwas kühl geworden ist. Eine Überraschung nach der andern und so etwas von Grosszügigkeit, unglaublich. Auf der Weiterfahrt verlassen wir die Hauptstrasse und über den Col de Bonhomme erreichen wir Colmar und machen eine kleine Rundfahrt zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten. In Mulhouse schlussendlich findet meine Reise mit diesem Pariser Ehepaar ein Ende, denn sie sind am Ziel angelangt. Die Uhr zeigt erst 5 Uhr nachmittags und ich habe seit 9 Uhr morgens mit vier Autos insgesamt über 500 km zurückgelegt und war mit dem Ehepaar 6 1/2 Std. unterwegs.

Im Zentrum der Stadt parkieren wir auf einem Platz, sodass ich ruhig aussteigen und mich von der Familie gebührend und aufs Herzlichste verabschieden kann. Es war für mich beeindruckend, so viel Freundlichkeit und Entgegenkommen erleben zu dürfen.

Wieder allein, will ich mir von der geschenkten Tausendernote etwas leisten, gehe in den nächsten Früchteladen und kaufe mir ein Kilo Trauben von der besten Sorte, die aber nur 90 ffr, ca. 95 Rp, kostet!

Wieder unterwegs, passiere etwas ausserhalb eine Brücke über den Kanal. In diesem Moment kommt ein Lastkahn kanalaufwärts und fährt in die Schleuse hinein. Dies ist wiederum Neuland für mich und ich bleibe über eine halbe Stunde stehen, da es mich sehr interessiert zu verfolgen, wie die Schleusen funktionieren.

Es ist knapp vor 6 Uhr abends, ich habe die Schweizer Grenze erreicht und so ist der Augenblick ist gekommen, wo ich nach zwei Wochen wieder „zu Hause“ in der Schweiz und nach kurzer Zeit zum ersten Mal in Basel bin. Eine gute Gelegenheit, eine Tante, die in einem Hotel als Köchin arbeitet, zu besuchen und die mir ein feines Nachtessen auftischt. Von hier telefoniere ich auch nach Hause, um die Mutter zu beruhigen. Die letzte Nacht verbringe ich in der Jugi.

Das Finale – von Basel nach Winterthur
Es ist Samstag, der 17. September 1955, mein letzter Tag auf meiner abenteuerlichen Autostopp-Reise durch Frankreich. Mit jeweils kurzen Wartezeiten komme ich nach Zürich und bin zu Fuss nach ca. 20 Minuten oben auf dem Milchbuck. Ich sitze am Strassenrand und esse das Schinken-Sandwich, das mir die Tante in Basel mitgegeben hat.

In Winterthur angekommen kommt der grosse Augenblick: Nach fast zwei Wochen Vagabundenleben bin ich um 5 Uhr nachmittags wieder zu Hause und es gibt ein freudiges Wiedersehen. Alle sind froh, dass ich wieder gesund zurückgekommen bin.

Geschafft – 3550 km mit Autostopp rund um Frankreich
Das ist also die stolze Bilanz. Wieviele Kilometer davon zu Fuss waren, habe ich leider nicht erfassen können – aber es müssen wohl gegen 200 km gewesen sein.
Ich habe diese Reise ohne Unfall oder Überfall, ohne körperliche Beschwerden, ohne Krankheit überlebt – jeder gesunde Tag war ein Geschenk. Abgesehen von ein paar kniffligen Situationen im Strassenverkehr hatte ich nie irgendwelche gefährliche Momente zu überstehen. Und von Müdigkeit überhaupt keine Spur.

Diese Abenteuerreise war mein bisher grösstes Erlebnis und ich behalte unglaublich viele tolle Eindrücke und Begegnungen mit unterschiedlichsten, interessanten, freundlichen und hilfsbereiten Menschen mein Leben lang in dankbarer Erinnerung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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