Von den Anfängen des Tourismus bis zur Gegenwart

Mein “Abenteuer” U.S. Army

Auswanderung nach New York, USA – 1961

 

Mit der Organisation von Gruppenreisen nach Uebersee bei Kuoni und ersten Einsätzen als Reiseleiter in Europa verspüre ich den Drang, aus der „heilen Welt“ auszubrechen und die Welt zu entdecken. Ich weiss ja nicht, wie sich meine Reiseleiter-Karriere entwickeln wird und wie lange ich auf Uebersee-Einsätze warten muss. Also nehme ich „das Heft selber in die Hand“ und schmiede Pläne für die Auswanderung nach Amerika.

Geduld ist gefragt
Ich kontaktiere meine Cousine Elizabeth, die mit ihrem Mann Emil und ihrer Familie in Yonkers, nördlich von New York wohnt, und informiere sie über meine Pläne auszuwandern. Sie unterstützt diese Idee und so beantrage ich ein Einwanderungs-Visum. Ich warte und warte und schlussendlich, nach langen 13 Monaten, habe ich endlich dieses langersehnte Visum – ich bin stolzer Besitzer der „Green Card“. Somit ist die Türe weit offen – Amerika, ich komme!

In New York angekommen
Wir schreiben das Frühjahr 1961 und der grosse Tag der Abreise ist da. Mit Swissair fliege ich mit Zwischenlandung auf den Azoren nach New York. Ich kann für die ersten Wochen bei der Familie meiner Cousine wohnen.

Hier wohne ich bei meiner Cousine & family in Yonkers, N.Y.

Ausgerüstet mit vielen Reisebüro-Adressen, die ich mir im Büro in Zürich notiert habe, mache ich mich auf die Stellensuche in Manhattan. Während drei Wochen, von Montag bis Freitag, pendle ich jeden Tag zuerst 20 Min. mit dem Bus zur U-Bahn Endstation und von dort 75 Minuten bis Downtown Manhattan. Und das gleiche wieder am Abend für die Rückreise! Meine Dollar-Reserve aus der Schweiz – zum Kurs von Fr. 4.30!- neigt sich langsam dem Ende zu.

Dann, oh Wunder, ich habe eine Offerte für einen Job als „Nacht-Kassier“ im Hotel New Yorker. Arbeitszeit von 22.00 bis 07.00 Uhr. Ich lasse mir eine Bedenkfrist geben, obwohl ich dringend auf ein Einkommen angewiesen bin.

Ich lerne an einer Cocktail Party mit verschiedenen Leistungsträger aus der Tourismusbranche für eine angekommene Kuoni-Gruppe den Chef der Gray Line kennen. Ich will weg von New York und frage ihn nach einem Job als Reiseleiter für die Busausflüge ab Las Vegas nach Grand Canyon, für die man keine Geschichtsbücher auswendig lernen muss. Leider negativ, er kennt aber ein Reisebüro, das Gruppenreisen aus Europa nach den USA organisiert.

Am nächsten Morgen rufe ich das besagte Reisebüro an und kann mich am gleichen Nachmittag vorstellen. Die Lage dieser Firma kann besser nicht sein: An der Ecke 42nd Street und 6th Ave, vis-à-vis der New York Library und in unmittelbarer Nähe des Times Square, melde ich mich und nach langen Diskussionen bezüglich Salär kann ich gleich am nächsten Tag meine Stelle antreten.

New York Library, vis-à-vis Büro

Die tägliche Fahrt mit Bus und U-Bahn vom Wohnort nach Manhattan ist mühsam und zeitraubend und lässt mich abends kaum länger ausgehen. Ich suche ein Zimmer in der Stadt und vom Kuoni Kontakt weiss ich, dass ein ehemaliger Kollege von Kuoni am Bellevue in Zürich als Sekretär im YMCA arbeitet. Die Lage ist super, 5W 63St ist direkt am untern Ende des Central-Parks, sodass ich auch in diesem riesigen Park joggen gehen kann.

Hier lerne ich nach einiger Zeit Jürg, einen andern Schweizer, kennen und er will weg vom YMCA und hat eine Wohnung in Forest Hills im Stadtteil Queens gefunden, da er später seine Verlobte aus der Schweiz nachholen will. Ob ich interessiert sei, während dieser Überbrückungszeit als „Lückenbüsser“ mit ihm die Wohnung zu teilen, frägt er mich. Eigentlich schon, aber ich würde wahrscheinlich die Sportmöglichkeiten im Haus vermissen, da ich inzwischen bei einem Amateur-Club in New Jersey Eishockey spiele. Ich entscheide mich trotzdem, sein Angebot anzunehmen.

Meine Adressen in New York: 5 W 63rd St. = YMCA / 100 W 42nd St = Büro / 66-02 111th St. Forest Hills = Wohnung

Das Gespenst U.S. Army
Als Immigrant mit einer Green Card bin ich verpflichtet, mich innerhalb von 6 Monaten nach Einreise beim „Local Draft Board“, dem Aushebungsbüro, anzumelden. Ich erfülle diese Pflicht am allerletzten Tag dieser Frist. Dann hängt das Damoklesschwert über mir, denn wer noch nicht 24 Jahre alt oder verheiratet ist, kann jederzeit eingezogen werden. Das Alter habe ich noch nicht – und nur wegen dem Militär noch schnell heiraten will ich auch nicht – abgesehen von der Qual der Wahl mit welcher Frau?

Diese Plakate verfolgen mich überall in der Stadt auf Schritt und Tritt. Dabei will ich gar nicht!

Im Laufe des Herbst werden mehr und mehr Männer in die Armee einberufen aufgrund der politischen Situation durch den Mauer-Bau in Berlin und dem Indochina-Krieg. Gegen Ende Jahr weiss Jürg von einer Mitarbeiterin eines Local Draft Boards, dass vor allem neu eingereiste Immigranten aufgeboten werden, was uns verunsichert. Er entscheidet sich, Ende Januar zu seiner Verlobten in die Schweiz zurückzukehren, da er ca. 2 Monate vor mir eingewandert ist.

Ich will nicht schon wieder in die Schweiz zurück und kontaktiere einen Hockey Kollegen aus der Schweiz, der nun in Montreal lebt, ebenso schreibe ich an mir bekannte Chefs von lokalen Reiseagenturen, wie z.B. in Mexiko und Tahiti und frage nach einem Job. Von überall kommt die Nachricht, dass es schwierig sei und lange dauern werde, eine Arbeitsbewilligung zu erhalten, wenn man nicht das Risiko einer Schwarzarbeit auf sich nehmen will. Aber so risikofreudig war ich nun auch wieder nicht.

Nach nächtelangen Diskussionen mit Jürg entscheide ich mich schlussendlich, zusammen mit ihm zurückzukehren. Ich informiere meinen Chef an der Weihnachtsparty über meinen Entscheid. Er meint, dass er persönlich nach Washington reisen will, um bei Präsident John F. Kennedy zu intervenieren, dass ich nicht einrücken muss!

Jürg und ich stellen einen Plan zusammen, was wir im Januar noch alles unternehmen werden resp. müssen und welche Parties wir wo organisieren. Die Zeit der Abreise rückt immer näher und noch immer habe ich kein Aufgebot für die US Army erhalten. Ich bereue schon meinen Entscheid, denn ich hoffte noch länger in den USA bleiben zu können.

Eines Abends, als wir nach einem Hockey-Besuch im Madison Square Garden spät nach Hause kommen, ist ein Couvert vom „Local Draft Board“ im Briefkasten. Also hat die Stunde doch noch geschlagen!

Wir schreiben den 16. Januar, das Aufgebot ist für Donnerstag, 25. Januar und die Schiffsreise ist für Samstag, 27. Januar gebucht! Soll ich gehen – oder nicht? Das Risiko eines Fernbleibens ist zu gross, denn ich würde als „Delinquent Nr. 1“ klassiert, was gleichbedeutend ist mit der Unmöglichkeit, später in die USA einreisen zu können, auch nur im Transit, ohne dass ich verhaftet würde. Für meine spätere Tätigkeit in der Reisebranche wäre dies verheerend.

Mein Aufgebot lautet auf „Order to report for Armed Forces Physical Examination“, was gleichbedeutend ist, dass ich nachher wieder frei bin. Ich habe Glück gehabt, denn wäre mein Aufgebot auf „Order for Physical Examination and Induction“ ausgestellt worden, hätte ich am Morgen gleich die Zahnbürste und das Pijama einpacken können, um am Nachmittag mit dem Bus in die Kaserne abtransportiert zu werden für den sofortigen Militärdienst.

Das Aufgebot und die Aushebung für die US Army
Am 25. Januar heisst es früh aufstehen, denn ich muss mich um 07.30 Uhr in der „Joint Examining and Induction Station, 39 Whitehall Street“ in der Battery, dem untersten Zipfel von Manhattan, einfinden.

Die Personalien werden aufgenommen und ich kann nur staunen, wieviele Männer für dieses Prozedere aufgeboten worden sind: 513 jugendliche Männer im besten Alter, aber – oh Schreck – es sind 500 schwarze Puerto Ricaner (Puerto Rico gehört zu den USA) und 13 Weisse, wovon 10 innerhalb des letzten Jahres eingewandert und – man staune – nur 3 Weisse, die in Amerika geboren sind! Also sollen zuerst die Schwarzen und die eingewanderten Europäer „Kopf und Kragen riskieren“ und erst nachher die Amis!

Da bin ich also – “In The Army Now”!

 

 

Es ist eine knallharte Übung an diesem Vormittag – und nicht so lustig wie in diesem Video! – Man wird barsch und in lauten Tönen herumkommandiert und ständig zur Eile getrieben, dann wieder warten (wie im Schweizer Militär!). Man bekommt eine leise Vorahnung, wie es dann wohl während des Militärdienstes sein könnte. Wir Weisse finden uns bald in diesem schwarzen Knäuel und lassen die ständigen Erniedrigungen schweigend an uns abprallen, wohl wissend, dass dieser „Zauber“ in ein paar Stunden gottseidank vorbei sein wird. Ich hätte nie gedacht, dass Erwachsene in militärischen Führungspositionen so rücksichts- und respektlos mit jungen Männern umgehen können. Das sitzt bei mir tief und hat meinen Anti-Amerika Reflex extrem geprägt.

Nun, ich habe dieses militärische Negativ-Abenteuer gut überstanden, leiste mir nachher einen guten Lunch, bevor ich wieder ins Büro zurückkehre. Am Abend bestreite ich noch den letzten Eishockey-Match mit meinem Club, den West New York Victorias, und verabschiede mich von den Mitspielern und Trainern mit einem Tor und einem Assist „standesgemäss“.

Bei der Farewell-Party auf dem Schiff übergebe ich meiner Schwester Beatrice ein Kuvert, adressiert an das „Local Draft Board“, mit der Bitte, dieses erst in den nächsten Briefkasten einzuwerfen, wenn sie das Schiff nach dem Auslaufen nicht mehr sieht. Nicht dass mich die Küstenwache noch vom Schiff holt! Im Brief informiere ich die Militärbehörde, dass ich bis auf weiteres nach Europa versetzt werde und gebe vorerst als Kontakt die Adresse meiner Cousine in New York an.

Sie leitet mir später einen ersten Brief vom Local Draft Board weiter, in dem ich von meiner Einteilung „US Army 1-A“ Kenntnis erhalte. „1-A“ bedeutet Front-Einsatz!
Erst später informiere ich die Behörde, dass ich bis auf weiteres in Europa leben werde und gebe meine Privatadresse in der Schweiz bekannt. Darauf folgt der Bescheid mit der Umteilung in „4-C“, d.h. Reserve sowie 1 Jahr später noch in “5-A” praktisch “ausgemustert”.
Dabei blieb es – und ich bin um ein Abenteuer reicher geworden.

Die “fluchtartige” Rückreise mit Schiff nach Europa
Nur 2 Tage nach der Aushebung sind wir „fluchtartig“ auf der Ueberfahrt nach Europa um zu vermeiden, evtl. 10-14 Tage später doch noch in die Kaserne einrücken zu müssen.

Unser Schiff ist die
s/s Constitution
24’000 BRT, 208x27m und mit einem Fassungsvermögen von „nur“ 395 Passagieren.

Die Jungfernfahrt fand 1951 statt und im Jahr 1956 reiste Grace Kelly mit diesem Schiff nach Monaco zur Hochzeit mit Prinz Rainier. Also ein geschichtsträchtiges Schiff.

Durch die Buchung der Schiffspassage als Reisebüro-Mitarbeiter hat uns die Schifffahrtsgesellschaft eine grössere Kabine zugeteilt. Es ist Samstag, 27. Januar 1961 und mit -20° Celsius bitterkalt. Wir haben auf 10.00 Uhr zu einer grossen Farewell-Party eingeladen und rund 30 Freunde, Freundinnen, Bekannte und Kollegen sind gekommen. Es ist eine rauschende Party und trotzdem befällt uns eine Traurigkeit, dass wir von so vielen vertrauten Personen – wer weiss ob für immer? – Abschied nehmen müssen.

 

Eine Stunde vor dem Auslaufen ist es Zeit, dass die Gäste das Schiff verlassen. Es gibt Umarmungen, Küsse werden ausgetauscht und Tränen fliessen – ein eigenartiges und beklemmendes Gefühl.

Jürg und ich gehen aufs offene Deck mit Blick auf den Pier, wo sich unsere Gästeschar in der klirrenden Kälte zum Abschied aufgestellt hat.

Dann, die Schiffsirene ertönt und geht durch Mark und Bein – und wir legen los! Good-bye New York, good-bye Amerika.

Wir winken und winken und winken bis zum letzten Moment, verpassen fast die Fahrt an der Freiheitsstatue vorbei und verlassen schlussendlich den Hudson River und biegen ein in den grossen Atlantik.

Wir sitzen am Abend beim Dinner, als uns ein Telegramm überreicht wird. Es sind unsere Freunde, die sich nochmals für alles bedanken und uns alles Gute und eine gute Überfahrt wünschen. Als Unterschrift lesen wir: „your frozen friends“ (eure erfrorenen Freunde).

Das Meer ist rau und wir verspüren einen intensiven Wellengang, werden aber nicht seekrank. Als das Wetter in den nächsten Tagen sonniger wird, spielen wir auf Deck Tischtennis, wobei durch die Schiffsbewegung der Schläger mal über den Ball, mal unter den Ball daneben trifft. Shuffleboard spielen ist sehr beliebt. Es wird eine Meisterschaft durchgeführt, an der Jürg und ich die ersten beiden Plätze belegen und mit einer Trophäe ausgezeichnet werden.

Auf den Kanarischen Inseln machen wir Halt in Santa Cruz de Tenerife.

Der nächste Hafen ist am Eingang des Mittelmeers, in Gibraltar. Es ist fast ein „muss“, dass wir den Affenfelsen besteigen.

Gibraltar und der Affenfelsen

Durch die Strasse von Gibraltar gehts nun definitiv ins Mittelmeer und auf der Fahrt nach Neapel erleben wir einen schrecklichen Sturm mit meterhohen Wellen.
Dann bricht die letzte Schiffs-Etappe an bis Genua, wo wir am Morgen des 8. Februars nach 14 Tagen wohlbehalten ankommen.

Zurück in der Schweiz – und zurück bei Kuoni
Am gleichen Abend sind wir in Zürich, wo sich unsere Wege trennen. Jürg fährt weiter ins Berner Seeland und ich nach Winterthur.

Damit ist das Kapital „Auswanderung nach USA“ abgeschlossen. Es war eine interessante, intensive Zeit mit Erfahrungen, die ich nicht missen möchte.

Ich hatte meinen ehemaligen Vorgesetzten bei Kuoni aus New York per Luftpostbrief informiert, dass ich infolge einer möglichen Rekrutierung bei der US Army voraussichtlich wieder in die Schweiz zurückreisen werde. Er schreibt mir zurück, dass ich mich melden solle, sobald ich zurück sei und ich sofort wieder eine Stelle antreten könne. So problemlos ist das zu dieser Zeit.

Am Tag nach meiner Ankunft in der Schweiz, es ist ein Freitag, telefoniere ich Kuoni und melde mich zurück. OK, meint mein zukünftiger Chef, ob ich am nächsten Montag die Arbeit aufnehmen könne? Seine Frage wird postwendend mit einem klaren JA beantwortet.

 

 

 

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