Kosmodrom Baikonur, Kasachstan, 21. März 2018
Wie bin ich überhaupt dazu gekommen, in diese privilegierten Kreise der Russischen Raumfahrt Eingang zu finden? Dafür gibt es einen Namen: Alina, Frau eines gut befreundeten Ehepaares, selber aus Riga, Lettland stammend. Ihr Onkel ist Oleg Artemiev, Kosmonaut und Kommandant der Mission MS-08 im März 2018 vom Weltraumbahnhof Baikonur, Kasachstan, zur Internationalen Raumstation ISS. Dank ihr werde ich in die exklusive Gruppe „Guests and Friends of Oleg“ aufgenommen und darf nach Baikonur zum Raketenstart mitreisen.
Wir schreiben Samstag, den 17. März 2018. Mein Weltraum-Abenteuer kann beginnen, noch nicht ahnend, dass es nicht bei diesem grossen Erlebnis bleiben wird.
Ich fliege mit Alina und ihrer Freundin Lilia via Moskau und Astana (seit 2019 heisst sie “Nur Sultan”, nach dem Vornamen des damaligen Präsidenten!), der Hauptstadt Kasachstans, nach Kyzylorda, wo wir nach über 7 Std. Flugzeit und mehreren Stunden Transit in Moskau und Astana am Sonntagvormittag ankommen, mit Zeitdifferenz zur Schweiz + 4 Std. Es folgt eine 3-stündige Busfahrt nach Baikonur, wo wir vor der Einfahrt in die Stadt einem Sicherheits-Check unterworfen werden und mit der Unterschrift auf einem Formular bestätigen müssen, die Regeln während des Aufenthaltes einzuhalten. Daraufhin erhalten wir einen Badge zum Umhängen. Der Besuch der Stadt ist nur mit einer Spezialbewilligung möglich.
Wir beziehen unsere Zimmer in einem Apartment-Haus, wobei ich das 2-Zimmer Apartment mit Brian Peavey, Chief Engineer der NASA in Houston, teile.
Roll-out der Raumfähre vom Hangar und Transport zum Startplatz
Auf der frühmorgendlichen Fahrt (Abfahrt 05.45h) zum 40 km entfernten Kosmodrom erleben wir einen traumhaften Sonnenaufgang mit dem Startplatz im Hintergrund als beeindruckende Kulisse.
Wir machen einen kurzen Stopp und können beobachten, wie die ISS genau zu diesem Zeitpunkt über uns, in über 400 km Höhe, vorbeizieht.
Wir erreichen den Hangar und ich stehe zuvorderst beim Eingangstor. Es ist punkt 07.00 Uhr und die grosse Komposition mit der Rakete, gezogen von zwei Lokomotiven, vorn und hinten, setzt sich in lautem Gequietsche und langsamer Bewegung aus dem Hangar. Keine 5m vor mir schiebt sich die 50m lange Rakete an mir vorbei und ich bin sprachlos und tief beeindruckt, dass ich den Roll-out aus einer solchen Nähe beobachten kann. Nur 2 Sicherheitsleute schauen, dass wir nicht noch näher gehen.
Wir verweilen noch etwas und sehen die Zugskomposition entschwinden und fahren mit den Bussen bis zu einem Bahnübergang, wo wir auf die Durchfahrt der Rakete warten. Vorerst bestaunen wir aus einer Distanz die Fahrt der langen Komposition.
Wir sehen wie sich das Gefährt dem Bahnübergang nähert und können die langsame Vorbeifahrt wieder aus nächster Nähe erleben. Eine Lokomotive ist abgekoppelt, sodass die Rakete mit den 4 riesigen Triebwerken die Komposition anführt. Die Dimension zwischen uns Zuschauern und der Höhe der liegenden Rakete ist gewaltig und lässt uns klein und unbedeutend erscheinen.
Es sind 3 Sicherheitsleute, die zu Fuss vor der Lokomotive gehen und ca. 100 m noch weiter vorne geht zusätzlich ein bewaffneter Sicherheitsmann mit Spürhund auf dem Trassee.
Nach der Vorbeifahrt geht es auch für uns weiter und bald sind wir am Startplatz angekommen. Wir beobachten, wie die Sicherheits-Installationen an der Rakete entfernt werden und schlussendlich mittels Hydraulik die Rakete aufgerichtet wird.
Im nahen Kosmos-Museum erhalten wir eine Idee von den Anfängen der russischen Raumfahrt. Die russische Kopie des Space Shuttles, der Buran, steht auf dem Areal und wir können ihn innen und aussen besichtigen.
Zurück in Baikonur erhalten wir auf einer Rundfahrt einen Eindruck über die Stadt.
Mit einem Abendessen in der Mensa der International Space School und einem Film über die Geschichte Baikonurs und dem tragischen Unfall am 24. Okt. 1960 geht ein äusserst eindrücklicher und faszinierender Tag zu Ende.
Start-Tag, Mittwoch, 21. März 2018
Heute ist der grosse Tag, dem wir entgegenfiebern.
Am Vormittag spazieren wir entlang der „Kosmonauten-Allee“ in Baikonur. Jeder Kosmonaut, der zur ISS startet, pflanzt vorher einen Baum und eine „Gedenktafel“ wird davor angebracht.
Die ersten Bäume wurden 1964 gepflanzt und haben schon eine beachtliche Grösse. Es ist mittlerweile eine lange Allee geworden. Wir suchen und finden den Baum von Oleg, der bereits 2014 zum ersten Mal zur ISS geflogen ist.
Am Nachmittag warten wir, zusammen mit vielen Schaulustigen, vor dem Yuri Gagarin Training Center auf die 3-köpfige Besatzung und der Back-up Crew, bis sie um 16.00 Uhr zu den Bussen gehen, die sie zum Kosmodrom fahren werden.
Emotionale Verabschiedung der Crew vor Gang zur Soyuz-Rakete
Auch wir fahren am späten Nachmittag zum Kosmodrom und warten vor der Mission Control auf die Verabschiedung der Besatzung. Punkt 19.00 Uhr erscheinen sie unter Beifall, bereits im Raumanzug, und begeben sich zu den 2 verantwortlichen Herren der Mission Control, um sich offiziell zu verabschieden mit den Worten „we are ready“.
Es sind nur wenige Schritte bis zum Bus, der sie zum Startplatz führt.
Nur die direkten Angehörigen haben Zutritt bis zum Bus und wir sehen, wie die Frauen der amerikanischen Astronauten ihre Kleinkinder bis auf die Höhe der Busfenster halten, damit sie sich von ihrem Daddy per Abklatschen am Fenster für die nächsten 6-7 Monate verabschieden können. Ein sehr emotionaler Moment, auch für uns Zuschauer. Zudem war ein körperlicher Kontakt zwischen Astronauten und Angehörigen für die letzten Tage ausgeschlossen.
Start der Raumfähre um 23.45 Uhr – überwältigend!
Wir verbringen die Zeit im Cosmos-Museum und essen und trinken etwas in der Cafeteria. Es geht langsam gegen 23.00 Uhr und mit einigen von unserer Gruppe begebe ich mich hinaus aufs offene Feld, wo wir aus ca. 1,4 km Entfernung dem Start entgegenfiebern.
Dann, punkt 23.45 Uhr erfolgt die Zündung, die ich wie einen Blitz empfinde mit gleichzeitigem Donnern und eine erste Rauchwolke erhellt den Himmel. Im nächsten Moment hört man das Dröhnen der Triebwerke, als die Rakete mit ohenbeträubendem Lärm beginnt sich langsam abzuheben. Wir können erst nur die gewaltige Rauchwolke sehen bis nach wenigen Sekunden auch die Rakete sichtbar wird, jedoch nur von unten mit den brennenden Triebwerken.
Es ist eine klare Nacht und wir können den Flug der Rakete noch lange beobachten, bis sie nur noch als kleiner Punkt am Himmel entschwindet. Vom Moment der Zündung und bis wir die Rakete am Himmel entschwinden sehen, dauert es nur wenige Minuten – und schon ist der «Spuk» vorbei. Ja, genau so empfinde ich die Situation, dass ich mich fragen muss, war das nun Realität oder habe ich geträumt?
Es ist ein bewegender und einmaliger Moment, den Start einer Raumfähre live aus einer solchen Nähe verfolgen und erleben zu können. Und dass sich zuoberst in der Rakete noch 3 wagemutige Männer befinden, eingeengt in einer kleinen Kapsel, macht diesen Moment noch eindrücklicher.