Jerez, Andalusien, 1997
Der Höhepunkt, nicht nur für die 100 Teilnehmer einer Firmenreise, sondern im Speziellen für mich, ist der Tagesausflug zu einer Hacienda mit Stierzucht (für Corridas). Sie besitzt eine eigene Arena für einen unblutigen Stierkampf, wo die noch jungen Stiere (400 kg statt für die Corrida 800 kg) auf die Tauglichkeit für den grossen Stierkampf getestet werden. Das Tor zur Arena geht auf und hinein sprintet ein junger Stier. Ein Torero zeigt uns einige interessante «Übungen», ohne aber das Tier irgendwie zu verletzen.
Nachher bietet sich Teilnehmern der Gruppe die Gelegenheit, in den „Ring“ zu steigen. Einige Romands benützen dies, aber der Torero bleibt im Ring und mit dem Teilnehmer spannen sie ein Tuch um den Stier angreifen zu lassen und zwischen den Männern hindurch zu stampfen.
Dann kommt mein Moment, meine Chance. Ich sehe, dass der junge Stier nach meinem Ermessen langsam müde ist und entscheide mich spontan, ohne zu überlegen, ebenfalls reinzugehen.
Die Sonnenbrille gebe ich meinem Reiseleiter-Kollegen, er soll sie mal bei sich behalten, da ich selber in den Ring gehe – und er meint nur, ob ich nicht ganz von Sinnen sei! Trotzdem gehe ich hinunter.
Die Gruppe ist oben am Ring versammelt und ein Orchester spielt die typischen Stierkampf-Melodien. Der Torero gibt mir das rote Tuch und den Degen und lediglich den Hinweis, in die Mitte zu gehen – nicht mehr! Dann, ich trete ein, schon etwas nervös, plötzlich in einer Stierkampf-Arena zu stehen, auch wenn sie nicht sehr gross ist.
Noch bevor ich mich richtig konzentrieren kann, kommt der Stier auf mich zu und erwischt mich am Oberschenkel und wirft mich auf den Boden! Aber nicht nochmal mit mir, denke ich, ich werde mich schon revanchieren. Ich war zu nahe an der Bande und so hatte der Stier zu wenig „Auslauf“ und drehte sich schneller um als ich dachte. Der Torero ruft mir zu „al centro“ (in die Mitte) und kommt von der Bande kurz in den Ring, zeigt mir, dass ich das Tuch leicht vor meinen Körper halten muss und erst im letzten Moment auf die Seite bewegen. Gesagt getan.
Der absolute Wahnsinn, allein dem Stier gegenüber zu stehen
Ich nähere mich Schritt für Schritt dem Stier, der stoisch stehen bleibt. Ich bin keine drei Meter vor ihm und höre sein Schnauben – da denke ich, Mensch, in was hab ich mich da reingelassen. Aber ich kann nicht umkehren, der Stier würde mich von hinten rammen – also muss ich stehen bleiben und versuchen ihn zu provozieren, damit er sich bewegt und auf mich zukommt.
Ich bin allein, meine volle Konzentration gilt nur noch meinem Gegenüber, ich nehme die Umgebung gar nicht wahr, nur ich und der Stier. Ich täusche ein paar Schritte an, stampfe auf den Boden, aber der Stier reagiert nicht.
Und dann plötzlich, er greift an – ich habe gerade noch Zeit, das rote Tuch neben meinem Körper zu ziehen und schon geht er unter dem Tuch hindurch mit einem Zischen zentimeternah an mir vorbei! Was für ein Gefühl – sensationell. Ich komme mir wie ein richtiger Torero vor.
Ich mache das noch zweimal und komme dabei immer mehr in eine echte Euphorie in dieser einmaligen Ambiance: Ich im Zentrum des Rings, allein mit dem Stier, auf den Balustraden die Gruppen-Teilnehmer und das Orchester spielt die Musik zum „Ole, Ole“. Ich fühle mich in einer anderen Welt und lebe nur noch diesen Moment!
Dann macht der Torero ein Zeichen und ich gehe zurück hinter die Bande. Man gibt mir ein Glas Wasser und erst da beginnen meine Knie zu zittern – aber während dem „Kampf“ hatte ich überhaupt keine Bedenken und schon gar keine Angst – ich lebte einfach im „Hier und Jetzt“ – und mein Auge nur auf den Stier gerichtet. “Irgendein Teufel hat mich da geritten“, dass ich ohne zu zögern in die Arena ging, habe ich mir nachher gedacht.
Beim anschliessenden Mittagessen unter Palmen im Hof der Hacienda eröffnen mir einige Teilnehmer, dass sie echt Angst um mich gehabt hatten, als der Stier mich umwarf.