Von den Anfängen des Tourismus bis zur Gegenwart

Zero’G – in meine eigene Schwerelosigkeit

Militärflugplatz Tschkalowsky, Moskau, 26. April 2019

Mit Spezialflugzeug Ilyushin IL-76 MDK in die Schwerelosigkeit

 

Vorbereitungen
Ich bin zu einer vorgängigen medizinischen Untersuchung ins Yuri Gagarin Cosmonaut Training Center in Star City, Moskau aufgeboten, da ich die Alterslimite für diese Flüge schon überschritten habe. Juliya, Managerin der organisierenden Roskosmos-Agentur (die russische “Nasa”), war Teilnehmerin der Expedition für die Landung der Soyuz-Raumkapsel, zurück von der ISS, in der Steppe von Kasachstan und stellte mir aufgrund meiner Fitness eine Ausnahmebewilligung in Aussicht.  Bereits Ende Oktober muss ich mich deshalb beim Hausarzt einem Check-up aufgrund der Vorgaben vom Training Center unterziehen, der positiv ausfällt. Mein Hausarzt übergibt mir den Ausdruck des EKG und eine A4-Seite mit unzähligen Laborwerten, dazu mit der Bemerkung “alles super!” Noch so gerne sende ich diese Unterlagen umgehend an Juliya. 

Der Termin am 20. Dezember im Training Center ist deshalb nur noch Formsache und Bestätigung, dass ich alle Vorgaben für diesen ZeroG-Flug mit Bravour erfülle.

Am Vortag
Es ist soweit, ich fliege ein paar Tage vorher nach Moskau und werde am Nachmittag
des 25. April von der Organisation im Hotel abgeholt. Fahrt ins Cosmonaut Training Center in Star City, 30 km östlich von Moskau, wo nochmals ein kurzer medizinischer Test vorgenommen wird. Die übrigen 13 Passagiere für diesen Flug – eine geschlossene internationale Gruppe – sind ebenfalls eingetroffen.

Im Anschluss erfolgen eine ausführliche Information und Instruktionen über das Verhalten an Bord, mit Videopräsentation, was uns am nächsten Morgen bevorsteht.

Der grosse Flugtag – ein Traum wird (fast) Wirklichkeit
Trotz Nervosität habe ich relativ gut geschlafen. Wieder werde ich am
frühen Morgen im Hotel abgeholt und zum Trainingscenter gefahren. Zusammentreffen mit der internationalen Gruppe und gemeinsame Fahrt zur nahegelegenen Militärbasis Tschkalowsky.

Da steht die Maschine – eine Ilyushin IL-76 MDK, ein ehemaliges Frachtflugzeug – in ihrer ganzen Grösse. Das Cosmonaut Training Center besitzt insgesamt 3 solcher Flugzeuge, die für das Schwerelosigkeits-Training für die angehenden Kosmonauten benützt wird. Dazwischen werden 2-3 Flüge pro Jahr für Touristen eingeplant.

Über eine kleine Leiter steige ich in diese Maschine und erhalte nochmals ausführliche Informationen. Ich bin schwer beeindruckt von der Grösse im Innern des Flugzeuges mit seinem Innenvolumen von 400 Kubikmetern. Die Kabine ist leer, verfügt über keine Fenster und die Deckenhöhe misst unglaubliche 3 m, weit mehr als in einem Linienflugzeug. Im vorderen Teil sind 3 Arbeitsplätze für die Kontrolle und Überwachung der Systeme sowie für die Informationen an die Instruktoren vor, während und nach der Schwerelosigkeit. Zudem verteilen sich die 7 Instruktoren auf die Kabine für die Unterstützung der Passagiere für die Bewegungen während ZeroG, die ohne ihre Hilfe völlig unkontrollierbar sind.

Nun wird jedem Passagier – gemäss Vorschrift aus Sicherheitsgründen – ein Fallschirm angehängt. So sitzen wir schlussendlich alle auf dem mit weichen Matten ausgelegten Boden, angelehnt an die Wand, die ebenfalls gepolstert ist und warten der Dinge die nun kommen sollen.

Die Nervosität steigt….
Die Triebwerke heulen auf, das Flugzeug nimmt Geschwindigkeit auf und der Puls
nimmt ebenfalls an Intensität zu. Auf einer gewissen Flughöhe werden uns die Fallschirme wieder abgenommen.

Flugbahn – die blaue Zone bedeutet Schwerelosigkeit – und dies 10 mal!

Wir erreichen nun die Basis-Flughöhe von 6000 m und dies ist der Beginn des Steigflugs, der bei ca.7500 m in einen extrem steilen Winkel von 47° übergeht. Nun gehen die speziellen kleinen Scheinwerfer längsseits auf Deckenhöhe an. Dies bedeutet, wie man uns informiert hat, dass in den nächsten 2-3 Sekunden die Schwerelosigkeit eintreten wird. In diesem Moment habe ich das Gefühl, dass ich auf den Boden gedrückt werde, aber in der nächsten Sekunde wie von Geisterhand in die Luft gehoben. Dies ist sehr unangenehm, da bei einer Schwerelosigkeit das Blut in den Kopf fliesst. Da wir uns beim ersten Mal an der längsseits angebrachten Stange halten sollen, ist der Körper dort fixiert, dafür gehen blitzschnell die Beine Richtung Decke, völlig unkontrollierbar.

Das Flugzeug steigt weiter bis auf 9000 m und geht fast im freien Fall wieder hinunter bis ca. 7500 m, wo der Flugwinkel von 47° wieder verlassen wird und wir langsam wieder zurück in die Schwerkraft kommen. Angelangt bei der Ausgangshöhe von 6000 m, beginnt gleich der nächste Steigflug, die sogenannte Parabel, bis auf 9000 m und zurück auf 6000 m – und dies insgesamt 10 mal! Die Dauer der Schwerelosigkeit beträgt pro Parabel rund 20-22 Sekunden.

Bald werde ich gebeten, mich bäuchlings ausgestreckt auf den Boden zu legen, zusammen mit 2 anderen Passagieren. Die Scheinwerfer gehen an, mein Körper hebt sich, ich schwebe in die ZeroG und der Instruktor hinter mir gibt mir einen leichten Stoss und ich „fliege“ während ein paar Sekunden durch die ganze Länge der Kabine und werde entweder vom Netz am Kabinenende oder von einem Instruktor mit den Händen abgefangen und abgebremst oder wie beim ersten Mal am Ende noch mit einem Salto und Landung wieder auf den Beinen.

Dieses Gefühl ist einmalig und schwer zu beschreiben. Völlig losgelöst von der Schwerkraft durch die Kabine zu schweben, auch im Kopf völlig frei und ohne Unwohlsein, ist das Grösste, das ich in meinem Leben je erlebt habe.

Die Instruktoren machen mit uns Passagieren auch andere „Übungen“ wie das Rad oder den „Handstand“ mit den Beinen an der Decke und den Kopf unten. Die Hilfe der Instruktoren besteht nur darin, unseren Körper in einer bestimmten Lage einigermassen zu stabilisieren, da wir sonst wegdriften.

Einen grossen Spass bereitet uns allen der “Gruppen-Flug”, bei dem wir uns mit den Armen einhaken sollen, damit wir als “Paket” in die Luft schweben. Die Instruktoren versuchen verzweifelt, uns irgendwie stabilisieren zu können, aber jede Arm- oder Beinbewegung ist unkontrollierbar in der Schwerelosigkeit.

Obwohl man sich zwischen den Parabeln ein paar Sekunden wieder etwas erholen kann, ist man ständig wie in einem Delirium und es ist passiert, dass Passagiere nach 5-6 Parabeln erbrechen müssen. Damit aber das Erbrochene nicht auch durch die Kabine schwebt (!!), haben wir kleine Plastikbeutel erhalten, die wir im Overall griffbereit haben müssen und im Ernstfall sofort zum Mund zu führen, um Unangenehmes zu vermeiden.

Dann kommt der Moment, wo wir von den Instruktoren abgeklatscht werden und wir wissen, dass die 10 Parabel vorbei sind. Ich – und die meisten Passagiere – haben nur noch einen Wunsch, flach auf dem Rücken liegend das Ende des Fluges abzuwarten bis zum Moment, wo das Fahrwerk wieder auf dem Boden aufsetzt und stolz aber auch froh sind, dieses Abenteuer er- und überlebt zu haben.

Der Flugzeug-Boden ist ja mit weichen Matten belegt, das ein Gehen auch im normalen Zustand erschwert, aber in meinem „Delirium“ ist es mehr ein Torkeln als ein Gehen. Und erst für die kleine steile Leiter hinunter auf den Tarmac benötige ich entsprechende Hilfe.

Mein Traum, ins All zu fliegen, ist zwar nicht wahr geworden, aber der Flug in die eigene Schwerelosigkeit ist immerhin ein Anfang und hat das Gefühl im All zu schweben eindrücklich vermittelt. 

Zurück im Hotel muss ich mich rund 3 Stunden aufs Bett legen und etwas schlafen bis ich wieder einigermassen im Gleichgewicht bin. Ich brauche diese Erholung, weil am Abend die Party über den erfolgreichen ZeroG-Flug mit russischen Freunden angesagt ist, mit Dinner und Disco-Besuch bis in die Morgenstunden!

 

Mein 2. ZeroG-Parabel-Flug, Flughafen Zhukovsky, Moskau, 31. August 2019
Im Vorfeld der Vorbereitungen für den Besuch des Aviation- & Space Salon MAKS – für den ich dank inzwischen guten Beziehungen in der Russischen Raumfahrts-Szene – eine Einladung als Ehrengast erhalten habe – informiere ich Juliya über meinen neuerlichen Besuch in Moskau. Sie schreibt mir, dass zwei der drei Ilyushin IL-76 MDK von der Militärbasis zum Flughafen Zhukovsky während der Dauer des Salons verlegt werden. Eine Maschine ist stationär im Flugzeugpark und die zweite Maschine macht ZeroG-Flüge. Es seien bereits vier  Schweizer gebucht, ob ich mich nicht auch anschliessen möchte. Gesagt, getan, denn ich kenne nun die Vorbereitungen und wie der Flug abläuft und werde bestimmt nicht mehr so nervös sein wie beim ersten Mal.

Die Vorbereitungen
Im Prinzip die gleichen, d.h. wieder medizinischer Test beim Hausarzt und Formulare
nach Moskau senden. Die Instruktionen und medizinische Untersuchung werden allerdings in zwei Zelten direkt neben der ausgestellten IL-76 MDK vorgenommen und nicht am Vortag im Trainings Center. Ich begrüsse die vier Schweizer (wobei ich nach dem Flug nicht schlecht staune zu erfahren, dass einer Arzt ist aus dem gleichen Dorf wie ich) und auch einige der bekannten Instruktoren vom 1. Flug, die mich auch prompt wiedererkennen und herzlich begrüssen.

Der 2. ZeroG-Flug – noch intensiver erlebt
Wir begeben uns an Bord, es folgen letzte Instruktionen und Anbringen der
Fallschirme. Wir sind eine gemischte Gruppe von insgesamt 13 Personen, Männer und einige Frauen aus verschiedenen Ländern. 

Ich sitze wieder am Boden, angelehnt an die Wand und warte gespannt auf den Start. Die Faszination und das Gefühl vom Eintritt in die Schwerelosigkeit ist auch beim zweiten Flug gross und ungebrochen.

 

 

 

 

Ich freue mich schon, wieder bäuchlings auf den Boden zu liegen, es hebt mich in der Schwerelosigkeit in die Luft und der Instruktor hinter mir gibt mir einen guten Stoss, sodass ich pfeilgerade durch die Kabine fliege und vor dem Netz ein Instruktor mich mit den Händen abgebremst in Empfang nimmt.

Auch der “Gruppen-Flug” mit dieser Gruppe macht wieder einen Riesenspass und das Gekreische ist intensiver als beim 1. Flug, da mehrere Frauen an Bord sind! Es folgen weitere „Übungen“, die ich beim ersten Flug nicht machen konnte und ich befinde mich in einem totalen Delirium, erlebe dieses unheimliche Gefühl von Schwerelosigkeit noch intensiver als beim ersten Flug. Ein unbeschreiblicher Zustand,  als fühle man sich im Weltall oder auf dem Mond, aber nicht mehr auf dieser Erde. Die 10 Parabel überstehe ich ohne Probleme und muss nach der 8. Parabel eine kurze Pause für Atemübungen einschalten, um die zwei restlichen Parabel geniessen zu können.

Dabei hat der Instruktor noch die Idee, mit mir ein paar Schraubendrehungen zu machen, rauf und runter, wo ich jeweils nicht mehr weiss wie mir passiert, mal habe ich die Decke vor Augen, im nächsten Sekundenbruchteil wieder den Boden oder die Wand und dies mehrere Male. Aber ich geniesse es voll – einfach genial!

Die Erleichterung zu wissen, dass beim Abklatschen der Instruktoren nach der 10. Parabel dieses eindrückliche Abenteuer endet, ist trotzdem sehr gross und der Wunsch ist immer noch der Gleiche, nur noch flach auf dem Boden liegend die Landung abzuwarten. Das eben Erlebte geht wie ein Film im Schnelllauf nochmals im Kopf ab. Einfach unfassbar, so etwas total  Verrücktes – das nur wenigen Personen vorbehalten ist – erleben zu können – und das nach nur 4 Monaten schon zum 2. Mal.

 

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